Wirtschaftliche Entwicklung - 15. November 2023

Herbstprognose 2023: Eine bescheidene Erholung nach einem schwierigen Jahr

EU-Kommission, Pressemitteilung vom 15.11.2023

Die europäische Wirtschaft hat in diesem Jahr vor dem Hintergrund der hohen Lebenshaltungskosten, der schwachen Auslandsnachfrage und der Straffung der Geldpolitik an Dynamik verloren. Auch wenn sich die Wirtschaftstätigkeit in Zukunft allmählich erholen dürfte, korrigiert die Europäische Kommission in ihrer Herbstprognose ihre Prognose für das BIP-Wachstum der EU im Vergleich zu den Sommerprojektionen nach unten. Schätzungen zufolge ist die Inflation im Euro-Währungsgebiet im Oktober auf einen Zweijahres-Tiefstand gesunken und dürfte im Prognosezeitraum weiter zurückgehen.

Das Wachstum hat an Schwung verloren, aber es wird immer noch mit einer Erholung gerechnet

Nach einer kräftigen Expansion während des größten Teils des Jahres 2022 schrumpfte das reale BIP zum Jahresende und erholte sich in den ersten drei Quartalen 2023 kaum. Der nach wie vor hohen, wenn auch rückläufigen Inflation, der Verschärfung der Geldpolitik sowie der schwachen Auslandsnachfrage musste die Wirtschaft einen höheren Tribut zollen als erwartet. Die jüngsten Geschäftsindikatoren und Umfrageergebnisse für Oktober deuten wegen erhöhter Unsicherheit ebenfalls auf eine gedämpfte Konjunktur im Schlussquartal dieses Jahres hin. Insgesamt geht die Herbstprognose für 2023 von einem BIP-Wachstum von 0,6 % sowohl in der EU als auch im Euro-Währungsgebiet aus, was um 0,2 Prozentpunkte unter der Sommerprognose der Kommission liegt.

Die Kommission rechnet jedoch mit einem allmählichen Wiederanziehen der Wirtschaftstätigkeit, da sich die Konsumausgaben aufgrund einer weiter robusten Entwicklung an den Arbeitsmärkten, eines anhaltenden Lohnwachstums und einer fortgesetzten Inflationsabschwächung erholen. Trotz einer restriktiveren Geldpolitik dürften die Investitionen – gestützt durch insgesamt solide Unternehmensbilanzen und die Aufbau- und Resilienzfazilität – weiter ansteigen. 2024 dürfte sich das BIP-Wachstum in der EU auf 1,3 % verbessern. Auch dies ist gegenüber der Sommerprognose immer noch eine Abwärtskorrektur um 0,1 Prozentpunkte. Im Euro-Währungsgebiet dürfte das BIP-Wachstum mit 1,2 % geringfügig niedriger ausfallen.

Angesichts der Inflation und der Weiterwirkung der restriktiven Geldpolitik dürfte sich das Wachstum im Jahr 2025 in der EU auf 1,7 % und im Euro-Währungsgebiet auf 1,6 % verbessern.

Weitere Abschwächung der Inflation nach dem jüngsten Zweijahres-Tief erwartet

Die Inflation ist nach wie vor rückläufig. Schätzungen zufolge belief sie sich im Euro-Währungsgebiet im Oktober auf 2,9 %, nachdem sie vor einem Jahr einen Höchststand von 10,6 % erreicht hatte. Dies ist der niedrigste Stand seit Juli 2021.

Während die Verlangsamung im vergangenen Jahr in erster Linie auf den drastischen Rückgang der Energiepreise zurückzuführen war, ist schlägt sie sich nun zunehmend breit in allen Hauptverbrauchskategorien und nicht nur bei Energie und Lebensmitteln nieder.

Da sich die geldpolitische Straffung in der Wirtschaft niederschlägt, dürfte die Inflation weiter zurückgehen, wenn auch in geringerem Tempo. Ausschlaggebend hierfür ist auf eine langsamere, aber breiter angelegte Abschwächung des Inflationsdrucks bei Nahrungsmitteln, Industrieerzeugnissen und Dienstleistungen. Die Gesamtinflation im Euro-Währungsgebiet wird voraussichtlich von 5,6 % im Jahr 2023 auf 3,2 % 2024 und 2,2 % 2025 sinken. Für die EU insgesamt dürfte sie bei 6,5 % im Jahr 2023, 3,5 % 2024 und 2,4 % 2025 liegen.

Die Arbeitsmärkte bleiben widerstandsfähig

Trotz der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums entwickelte sich der EU-Arbeitsmarkt in der ersten Jahreshälfte 2023 weiterhin kräftig. Im zweiten Quartal erreichten die Erwerbs- und Beschäftigungsquoten in der EU den höchsten jemals aufgezeichneten Stand, und die Arbeitslosenquote lag im September bei 6 % der Erwerbsbevölkerung und damit nahe ihrem Rekordtief.

Obwohl die jüngsten Umfrageergebnisse auf eine gewisse Abkühlung hindeuten und in einigen Mitgliedstaaten ein Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen ist, dürfte der Arbeitsmarkt im Prognosezeitraum robust bleiben. In diesem Jahr wird ein Beschäftigungswachstum von 1,0 % in der EU prognostiziert, bevor es sich sowohl 2024 als auch 2025 auf 0,4 % verringern soll. Die Arbeitslosenquote dürfte 2023 und 2024 in der EU mit 6,0 % weitgehend unverändert bleiben und 2025 auf 5,9 % sinken. Angesichts des anhaltenden nominalen Lohnwachstums und der rückläufigen Inflation wird erwartet, dass sich die Reallöhne ab nächstem Jahr ins Positive wenden werden.

Verringerung der öffentlichen Defizite mit dem Auslaufen der fiskalpolitischen Unterstützung

Das Auslaufen der pandemiebedingten befristeten Maßnahmen, eine Verringerung der Subventionen für private Investitionen und die geringeren Nettoauswirkungen energiebezogener Maßnahmen auf die öffentlichen Haushalte dürften den Druck auf die Haushaltssalden ausgleichen, der sich aus einem ungünstigeren wirtschaftlichen Umfeld und höheren Zinsausgaben ergibt. Folglich dürfte das gesamtstaatliche Defizit der EU 2023 den Projektionen zufolge leicht auf 3,2 % des BIP zurückgehen. Die fortgesetzte Zurückhaltung bei diskretionärer fiskalischer Unterstützung dürfte das öffentliche Defizit der EU weiter auf 2,8 % des BIP im Jahr 2024 und auf 2,7 % des BIP im Jahr 2025 senken. Die Hauptursache für diesen Rückgang dürfte die erhebliche Verringerung der energiebezogenen Maßnahmen im nächsten Jahr und deren schrittweise Einstellung im Jahr 2025 sein.

Die Schuldenquote der EU wird den Projektionen zufolge 2023 weiter auf 83 % des BIP zurückgehen. Dies wird durch die hohe Inflation gestützt, wohingegen höhere Zinssätze für neue Schuldtitel die Zinsausgaben angesichts der langen durchschnittlichen Laufzeit der Staatsschulden in der EU nur allmählich erhöhen. In den Jahren 2024 und 2025 dürfte sich die Schuldenquote weitgehend über dem Niveau von 2019 von rund 79 % stabilisieren.

Risiken und Unsicherheit nehmen vor dem Hintergrund geopolitischer Spannungen zu

Die Unsicherheit und Abwärtsrisiken für die Wirtschaftsaussichten haben in den letzten Monaten aufgrund des anhaltenden Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine und des Konflikts im Nahen Osten zugenommen. Bislang konnten deren Auswirkungen auf die Energiemärkte unter Kontrolle gehalten werden, doch besteht die Gefahr von Unterbrechungen der Energieversorgung, die sich erheblich auf die Energiepreise, die weltweite Produktion und das Preisniveau insgesamt auswirken könnten. Die wirtschaftlichen Entwicklungen bei den wichtigsten Handelspartnern der EU, insbesondere China, könnten ebenfalls Risiken mit sich bringen.

Auf binnenwirtschaftlicher Seite könnte die Transmission der geldpolitischen Straffung die Konjunktur länger und stärker als in dieser Prognose projiziert belasten, da sich die Anpassung der Unternehmen, privaten Haushalte und öffentlichen Finanzen an das hohe Zinsumfeld als schwieriger herausstellen könnte. Schließlich zeigen extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen, Brände, Dürren und Überschwemmungen, die auf dem gesamten Kontinent und darüber hinaus mit zunehmender Häufigkeit und in wachsendem Ausmaß zu spüren sind, die dramatischen Folgen, die der Klimawandel nicht nur für die Umwelt und die betroffenen Menschen, sondern auch für die Wirtschaft haben kann.

Neue Kandidatenländer erstmalig einbezogen

In dieser Herbstprognose werden erstmals auch Wirtschaftsdaten aus Bosnien und Herzegowina, der Republik Moldau und der Ukraine beleuchtet, denen der Europäische Rat im vergangenen Jahr den Status eines EU-Bewerberlandes zuerkannt hat. In der Ukraine hat sich die Wirtschaft 2023 als bemerkenswert widerstandsfähig erwiesen. Es wird erwartet, dass das Wachstum 2023 bei 4,8 %, 2024 bei 3,7 % und 2025 bei 6,1 % liegen wird, nachdem es 2022 infolge der massiven Invasion Russlands um 29 % abgestürzt war.

Diese Erholung ist auf außergewöhnliche Ernten und staatliche Impulse zurückzuführen, die von der unerschütterlichen Unterstützung internationaler Partner getragen werden, sowie auf die Zusage der Behörden, die makrofinanzielle Stabilität zu gewährleisten.

Quelle: EU-Kommission